Kritik

Kritik am Minimalismus

Natürlich wird niemand dazu gezwungen, alles auszumisten und ein asketisches Leben zu führen. Dennoch steht der Minimalismus, wie so viele andere „-ismen“, ab und an in der Kritik. Hier einige der häufigsten Kritikpunkte und ein paar Gedanken dazu. 

Das Wegwerfen der ausgemisteten Gegenstände ist unökologisch!

Die wohl härteste Kritik am Minimalismus betrifft die Entsorgung der ausgemisteten Gegenstände. Leider wird Ausmisten oftmals so verstanden, dass Dinge einfach weggeworfen werden sollen – was selbstverständlich nicht der Fall ist. 

Beim minimalistischen Lebensstil geht es unter anderem um ein ökologisches Leben im Einklang mit der Umwelt. Somit ergibt es natürlich Sinn, die ausgemisteten Gegenstände vernünftig zu entsorgen oder weiterzugeben. 

Hier gibt es unterschiedliche Möglichkeiten: 

  • Verschenken (an Freund:innen, Familie, Bekannte, Nachbar:innen, über Ebay Kleinanzeigen, mit Hilfe einer „Zu-verschenken-Kiste“ vor der Tür, Kleiderspende)
  • Genossenschaften, 2nd-Hand-Läden, Sozialkaufhäuser
  • Verkauf auf Ebay/Facebook Marktplatz, Flohmärkten
  • Wiederverwendung für DIY-Projekte

Minimalismus ist zu radikal!

Gerade, wenn es darum geht, Bekanntschaften „auszusortieren“ wird oftmals Kritik laut. Es sei nicht nett, Menschen einfach aus dem Leben zu „minimalisieren“. Dabei sollte man bedenken: Ist es nicht weitaus ungesünder, weiterhin mit Menschen Umgang zu pflegen, die offensichtlich nicht guttun oder gar toxisch sind? Auch mit Menschen darfst du abschließen.

Weitere Tipps zum Thema findest du übrigens auch in meinem Buch „Minimalismus“, welches du direkt hier bestellen kannst!

Doch auch die extreme Form des materiellen Minimalismus, „Extremer Minimalismus“, scheint für viele zu radikal. Hier sehen wir Menschen, die teilweise nur mit 15 Gegenständen leben (Andrew Hyde). Das ist natürlich nicht für jedenMenschen der richtige Weg. Minimalismus ist höchst individuell und ein Werkzeug, um sich auf die eigenen essenziellen Dinge zu besinnen und beschränken. Niemand ist hier gezwungen, nur eine bestimme Anzahl an Gegenständen zu besitzen oder die Büchersammlung wegzuwerfen! Es sollen lediglich Denkanstöße und Inspiration vermittelt werden.

Minimalismus ist nur etwas für privilegierte Reiche. Das muss man sich erstmal leisten können!

Stimmt. Zumindest zum Teil. 

Den Luxus des Ausmistens, Weglassens und “Nein”-Sagens können sich nicht alle leisten. Deshalb sollte deutlich unterschieden werden, ob jemand freiwillig einen minimalistischen Lebensstil pflegt oder aufgrund von Armut dazu gezwungen ist, wenig zu besitzen. 

Um Minimalismus gerade auch im Extremen praktizieren zu können, ist es auf jeden Fall hilfreich, wenn man eine gewisse Sicherheit hat. Natürlich kann er auch dafür sorgen, dass diese in Ansätzen erst entsteht, dennoch sollte hier Rücksicht genommen und keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. Um reduzieren zu können, muss man natürlich erstmal im Überfluss haben. Andernfalls kommt auch der Gedanke erst einmal nicht. 

Minimalismus muss man sich außerdem leisten können in der Hinsicht, dass zunächst einmal der Gedanke da sein muss. Um sich Gedanken machen zu können, braucht man Zeit. Die muss man sich erstmal nehmen können. Doch wieder sei hier gesagt, dass es bei dem Thema nicht um das Aussortieren allein geht, sondern vor allem um die Besinnung auf das Wesentliche, wie Greg McKeown in seinem Buch „Essentialism“ beschrieben hat. Auch geht es beim Minimalismus nicht darum, sich die teuersten, aber besten Dinge anzuschaffen, um die günstigeren auszutauschen, wenn diese noch völlig in Ordnung sind. Es geht um das Bewusstsein, dass billig angeschaffte Dinge häufiger nach kurzer Zeit ersetzt werden müssen und sich Investitionen in vielen Fällen durchaus lohnen können. 

Minimalismus kann dafür sorgen, dass man mit wenig auskommt, sollte aber nicht den Blick dafür vernebeln, dass Menschen mit wenig auskommen müssen, obwohl sie mehr bräuchten. 

Dennoch gibt es genug Menschen, die Minimalismus praktizieren, um zu sparen, gerade weil sie nur wenig haben. Sie leben ein genügsames Leben und versuchen beispielsweise, mit geringem Gehalt gut über die Runden zu kommen oder gar Schulden abzubauen.

Während einer Pandemie auszusortieren scheint eher wie ein Hobby oder Trend, dem jetzt alle hinterherlaufen.

Jein. Es kann einen gewissen Hobbycharakter haben (ich bin da selbst nicht unschuldig), trotzdem sollte nicht um des Ausmistens Willen ausgemistet werden. Es sollte immer bewusst geschehen, sodass nichts die eigenen vier Wände verlässt, was eigentlich einen Zweck erfüllt, dem wir lediglich aktuell in dieser Ausnahmesituation nicht nachgehen können.  

Wenn ich das Werkzeug nicht im Haus habe, kann ich es auch nicht benutzen.

Wie oft brauchen wir gewisse Werkzeuge denn wirklich? Reicht es nicht, sie sich bei Bedarf zu leihen, von Nachbar:innen, Freund:innen oder Familienmitgliedern? So können Kontakte wieder aufleben und eventuell sogar gestärkt werden – und wer weiß, vielleicht hilft der/die Gefragte dann sogar beim Werkeln und es entwickelt sich eine neue Freund:innenschaft daraus!

Wenn ich alles ausmiste, wirkt die Wohnung so leer.

Das geht vielen zunächst so, besonders, wenn sie vorher sehr vollgestellt war. Doch geht es auch hier wieder nicht darum, alles auszumisten, was in irgendeiner Form dekorativ ist. Es geht darum, den Überfluss loszuwerden und nur noch die Dinge zu behalten, die wirklich glücklich machen. Die man sich gern ansieht. 

Die Wohnung ist nicht leer: Sie ist voller Ideen für Neues und Kreativität!

Leer ist nicht gleich Leere: Hier ist Freiraum für Ideen und Kreativität!

Seit ich ausgemistet habe, fragen mich meine Eltern, ob ich Geldprobleme hätte.

Davon kann ich ebenfalls ein Lied singen. Wer sich mit dem Thema nicht beschäftigt oder gar nicht weiß, dass es diese Bewegung gibt, der tut sich vielleicht anfangs schwer damit, zu verstehen, warum jemand freiwillig sein Hab und Gut aufgibt.  Hier hilft nur eins: Kommunikation. Natürlich kann ein minimalistischer Lebensstil dabei helfen, Geld zu sparen oder für ernste Fälle gewappnet zu sein (Swedish Death Cleaning). Doch wirkt es zunächst befreiend und fokussierend und genau das sollte auch kommuniziert werden. Wenn wir miteinander sprechen, lassen sich viele Vorurteile und Unklarheiten beseitigen. 

Ich bin gezwungenermaßen Minimalist:in, da ich nicht viel Geld habe und nicht viel besitze. Ich finde es anmaßend, wenn Menschen freiwillig ihre Habseligkeiten weggeben und meinen unfreiwilligen Lebensstil als Trend sehen.

Das ist vollkommen verständlich. Du hast Recht. Es ist nicht schön zu sehen, wie andere das, was man selbst täglich unfreiwillig durchlebt, als Trend verkaufen und romantisieren

Minimalismus sollte auch kein Trend sein. Im Gegenteil: Es sollte bereits im Kindesalter gelehrt werden, was es heißt, genug zu haben und das zu schätzen zu wissen, was man hat. Sich auf das zu beschränken, was man wirklich braucht, damit es allen auf der Welt besser gehen kann. Es braucht nicht nur eine Umverteilung der Güter, um Armut und Ungerechtigkeit zu besiegen, sondern eine grundlegende Veränderung unserer Wertevorstellung. Nachdem wir unser Leben lang individuell nach „mehr, höher, weiter, besser“ gestrebt haben, sollten wir nun begreifen, dass wir als Spezies nur überleben können, wenn wir aufeinander Acht geben und für echte Gerechtigkeit einstehen. Wenn wir begreifen, dass Gier uns nicht weiterbringt und wir am Ende sowieso alle in einer Holzkiste liegen (die Pyramiden lassen wir hier gerade einmal außen vor). Wir werden tagtäglich so von Reizen überflutet, dass wir schon gar nicht mehr mitbekommen, was unsere Entscheidung für den Kauf einer Sache beeinflusst hat. Dies gilt es wahrzunehmen, zu hinterfragen und zu ändern. Für unser aller Wohl. Minimalismus ist eine Entscheidung. Wer am Existenzminimum lebt, hat nicht automatisch einen minimalistischen Lebensstil; dies nur möglich, wenn man vorher in irgendeiner Form vom Über-Fluss hinweggespült wurde. Minimalismus muss man sich erstmal leisten können, sowohl finanziell als auch zeitlich und mental (denn er kann anfangs Ängste auslösen, die es dann erst einmal zu bewältigen gilt).

Minimalismus ist nur etwas für Singles.

Nein. Auch als Paar oder sogar Familie kannst du Minimalismus praktizieren. Es kommt ja nicht darauf an, direkt ins Extreme zu gehen und in eine Holzhütte im Wald zu ziehen, sondern ein Bewusstsein für die wirklich wichtigen Dinge zu schaffen. Gerade Kindern kann so beigebracht werden, wie sie zwischen Dingen unterscheiden, die ihnen wichtig sind und Dingen, die ihnen nicht wichtig sind. Sie können lernen, dass materielle Dinge nicht alles sind und ihre Prioritäten entdecken. 

Minimalismus ist toxisch.

Nicht per se, aber er kann es werden. Es gibt sicherlich Gemeinschaften, die Minimalismus praktizieren und äußerst exklusiv werden, wenn sich nicht an bestimmte Vorgaben gehalten wird. 

Halte dich davon fern. Das braucht niemand. Nirgendwo. #inclusive

Minimalismus ist herausfordernd.

Das kann es sein, gerade zu Anfang. Du empfindest vielleicht Verlust durch das Weggeben deines Besitzes. Vielleicht Trägheit durch die Größe des Projektes, Gruppenzwang oder Leistungsdruck durch andere Minimalist:innen oder Nicht-Minimalist:innen, die dich vom Minimalismus abhalten wollen. Entwurzelung durch die neu gewonnene Mobilität und zunächst Leere in deinem Umfeld. 

Aber du empfindest mit jedem Schritt auch Klarheit durch Fokussierung, Leichtigkeit durch Mobilität. Entspannung durch weniger Arbeit, die auf dich wartet. Zufriedenheit, weil du nun Zeit und Raum hast für die Dinge, die dich wirklich glücklich machen.

„The sun rises when its ready.“
(Die Sonne geht auf, wenn sie bereit dafür ist.)

Elektra (Pose)


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